Untersuchung auf Nano-Ebene

Forscher sind tierischem Klebstoff auf der Spur

08.03.2023 von

Ein internationales Forscherteam mit Beteiligung der TU Darmstadt ist dem Geheimnis eines verblüffenden Klebstoffs aus der Tierwelt ein Stück nähergekommen. Mit diesem Sekret gehen sogenannte Stummelfüßer auf Jagd, eine Tiergruppe mit einigen ausgefallenen Eigenschaften. Die neuen Erkenntnisse könnten dabei helfen, wiederverwendbare Biomaterialen für medizinische oder industrielle Zwecke zu entwickeln.

Ein Vertreter der Art Euperipatoides rowelli beim Ausstoßen von Sekret durch die Schleimpapillen

Die australische Stummelfüßer-Art Euperipatoides rowelli erbeutet kleinere Insekten und verteidigt sich, indem sie aus zwei Düsen an ihrem Kopf eine klebrige Flüssigkeit ausstößt. Im Kontakt mit Oberflächen und durch Ziehen bilden sich in dem Sekret augenblicklich zugfeste Fasern. Je mehr das gefangene Tier zappelt, desto fester werden diese.

Zur Untersuchung des Schleims arbeiteten Professor Emanuel Schneck vom Institut für Physik an der TU Darmstadt und Forschende der Universität Kassel mit Neutronenstrahlen, die sich wie die Wellen von Licht verhalten. Aus der Richtungsabhängigkeit, in der diese Wellen von der Probe abgelenkt werden, ließ sich errechnen, wie die klebrige Substanz aufgebaut ist. Zu ihrem Erstaunen stellten sie fest, dass zwar einheitlich große Nano-Kügelchen im Schleim vorhanden sind, große Proteine, aus denen die zugfesten Fasern gebildet werden, jedoch nicht in diesen Kügelchen stecken, sondern frei in dem Sekret schwimmen.

Neue Einblicke durch Neutronenmessungen

„Bislang dachte man, dass die meisten Proteine in die Nano-Kügelchen eingebaut sind und dass sich aus diesen Kügelchen dann Fasern ausbilden, wenn daran gezogen wird“, erklärte Professor Schneck. „Meine Forschungskollegen Professor Georg Mayer, Leiter des Fachgebiet Zoologie an der Universität Kassel, und Fachgebietsmitarbeiter Dr. Alexander Bär untersuchen bereits seit 2012 die Funktionsweise und den Aufbau des Schleims. Die Neutronenmessungen liefern nun ganz neue Einblicke, aufgrund derer die gängige These der Funktionsweise des Sekrets überarbeitet werden muss.“

Außerdem wirkten die Forschenden mit Ultraschall auf das Sekret ein. So konnten sie unter Ausschluss von Umgebungsluft und ohne die Substanz mit anderen Oberflächen in Berührung zu bringen, Scherkräfte erzeugen. Dabei bildeten sich keine Fasern, und auch die innere Struktur des Schleims veränderte sich kaum. Ihre Schlussfolgerung: Für die Zusammenlagerung von freien Proteinen zu stabilen Fasern benötigt es mehr als nur mechanische Einwirkung auf das Sekret.

Die Wissenschaftler vermuten nun, dass die Nanokügelchen und angrenzende Oberflächen als Anlagerungspunkte dienen, an denen sich die Proteine ansammeln und zu zugfesten Fasern assoziieren. Austrocknung des Sekrets durch Umgebungsluft könnte die Formveränderung des Schleims zusätzlich vorantreiben.

Ihrem Ziel, die Substanz so gut zu erforschen, dass seine Wirkmechanismen reproduzierbar werden, sind die Forscher damit abermals ein großes Stück nähergekommen. Synthetisch hergestellte Materialien, die diese Wirkmechanismen aufweisen, könnten beispielsweise als wiederverwertbare und naturverträgliche Klebstoffe in der Medizin oder der Industrie von großem Nutzen sein.

Die Publikation

Die Studie mit dem Titel „The internal structure of the velvet worm projectile slime: A small-angle scattering study” wurde am 24.02.2023 in der Zeitschrift „Small“ veröffentlicht: https://doi.org/10.1002/smll.202300516.

Beteiligt waren neben der TU Darmstadt und der Universität Kassel auch Forschende des Institut Laue-Langevin in Grenoble (Frankreich), des Rutherford Appleton Laboratory in Didcot (Großbritannien), der University of Quebec at Montreal (Kanada), der McGill University in Montreal sowie der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf.