Urgrund aller Dinge (1956/57)
Bernd Krimmel (1926–2020)

Bernd Krimmels Bilderzyklus „Urgrund aller Dinge“ (1956/57)

von Franco Laeri

Bilderzyklus von Bernd Krimmel, „Urgrund aller Dinge“ (1956/57), realisiert in Resopal. Grösse BxH: 631 cm x 332 cm. Foto: O. Soltwedel
Bilderzyklus von Bernd Krimmel, „Urgrund aller Dinge“ (1956/57), realisiert in Resopal. Grösse BxH: 631 cm x 332 cm. Foto: O. Soltwedel

Der Künstler Bernd Krimmel

1926 geboren in Darmstadt
1944 – 1945 Studium der Architektur an der Technischen Hochschule Darmstadt
1945 Selbstständig als Maler und Zeichner; Schnellzeichner im „American Red Cross Club“
1955 – 1960 Geschäftsführender Vorsitzender der „Neuen Darmstädter Sezession“
1965 Berufung als Städtischer Kunstreferent
1968 – 1971 Gastdozent für Malerei an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Mainz
1972 Leiter des Stadtmuseums Darmstadt
1975 Direktor des neu gegründeten Instituts Mathildenhöhe und der Städtischen Kunstsammlungen; Kulturreferent
ab 1980 Konzeption eines Museums der Darmstädter Künstlerkolonie im Ernst-Ludwig-Haus
1989 auf eigenen Wunsch vorzeitiges Ausscheiden aus dem öffentlichen Dienst
2020 gestorben in Darmstadt

Siehe auch den Wikipedia-Eintrag unter de.wikipedia.org/wiki/Bernd_Krimmel.

Bernd Krimmels Arbeitsweise

Bernd Krimmel (1926–2020) war Maler, Grafiker und Ausstellungsmacher [1]. Er hat im Laufe seiner Karriere mit den verschiedensten Materialien gearbeitet und experimentiert.

Obwohl schon in den 1930er-Jahren erfunden, kam in den 1950er Jahren das Material Resopal TM, ein dekorativer Hochdruckschichtpressstoff, groß in Mode. Das Material prägte die Produktästhetik dieser Zeit – die Nierentische sind legendär. Resopal wurde (und wird immer noch) in Groß-Umstadt hergestellt, also nicht weit von Darmstadt. Krimmel befasste sich eingehend mit den Möglichkeiten von Resopal für die künstlerische Bildgestaltung. Ein Resopal-Bild entsteht durch Übereinanderlegen von farbigen, bzw. bemalten Seidenpapierschichten, die zusammen das Bild aufbauen, und dann mit Kunstharz imprägniert werden. Zur Fixierung wird das Ganze unter hohem Druck und hoher Temperatur zu Platten gepresst. Das delikate Seidenpapierbild erhält durch die Einbettung in den duroplastischen Kunststoff eine große mechanische Festigkeit und eine hohe Lichtbeständigkeit. Gerade für Bilder im öffentlichen Bereich sind diese Eigenschaften sehr vorteilhaft. Krimmel realisierte mehrere größere Kunst-am-Bau-Objekte in und um Darmstadt mit dieser Technik [2].

Der Bezug des Bilderzyklus zum Ausstellungsort

Das „Vierjahresplaninstitut“ für Technische Physik der Kunststoffe nach dem Luftangriff am 11. September 1944; Blick aus der Ruine des Pützerschen Hörsaalgebäudes; Foto: unbekannt
Das „Vierjahresplaninstitut“ für Technische Physik der Kunststoffe nach dem Luftangriff am 11. September 1944; Blick aus der Ruine des Pützerschen Hörsaalgebäudes; Foto: unbekannt

Der Bildzyklus bildet eine Wand im Gebäude S2|04 der Technischen Universität Darmstadt, Hochschulstr. 8, die das Foyer im zweiten Stock von den Büros der Wissenschaftler trennt. Das vom Darmstädter Architekturprofessor Karl Gruber entworfene Gebäude wurde 1942 als ein „Vierjahresplaninstitut“ für Technische Physik der Kunststoffe eröffnet.

Im großen Luftangriff am 11. September 1944 wurde es schwer beschädigt. Das Gebäude wurde nach dem Krieg wieder aufgebaut und beherbergte dann das Institut für Technische Physik, das ab 1952 von Karl-Heinz Hellwege geleitet wurde. Hellwege war ab 1955 auch Leiter des benachbarten, 1951 gegründeten „Deutschen Kunststoffinstituts“.

Die Ruine des „Vierjahresplaninstitut“, Im Hintergund der große Physikhörsaal; Foto: unbekannt
Die Ruine des „Vierjahresplaninstitut“, Im Hintergund der große Physikhörsaal; Foto: unbekannt

So ist es wohl kein Zufall, dass er Bernd Krimmel, der mit der Anwendung der kunststoffbasierten Resopaltechnik für die Gestaltung von Bildern im öffentlichen Bereich gerade Furore machte, mit der Gestaltung dieser Wand im Format 631 cm x 332 cm beauftragte.

Krimmel schuf ein vielgesichtiges Werk voller Anspielungen, Symbolen und spannenden Farbakkorden. Er beschreibt den Bildzyklus in folgender Weise:

„Urgrund aller Dinge“ (1956/57)
„Urgrund aller Dinge“ (1956/57)

Ein am linken Bildrand im Profil dargestellter Kopf schaut auf das Panorama der Menschheitsgeschichte. In ihm erkennt er sich und die Welt: Der Bilderzyklus beginnt links oben: Homo sapiens beschwört und beherrscht das Feuer. Aus Furcht vor der Naturgewalt verbirgt er sein Gesicht hinter einer apotropäischen Widdermaske. Am rechten Bildrand betrachtet ein Kind, wie ein an einer Schnur hängender Apfel die Meridiane der Erdkugel umkreist.

Diese Metapher der Newtonschen Gravitationstheorie bringt einen Höhepunkt wissenschaftlicher Erkenntnis kompositorisch ins Spiel. Diagonal gegenüber erobert ein innig vereintes Menschenpaar fortzeugend die Welt. Der Liebesakt erinnert an die biblische Legende von Adam und Eva. Reich verstreute Früchte sind die Ernte vom Baum der Erkenntnis. Im Zentrum der Bildgeschichten erscheint Leonardos berühmte Zeichnung „Der Mensch des Vitruv“, der in Kreis und Quadrat eingeschrieben ist. Seine Körperlichkeit erscheint identisch mit den Grundmaßen des Universums. Albrecht Dürer sucht in seinen Proportionsstudien nach den Verhältnissen der Fibonacci-Zahlen und den Maßen der Schönheit. Die Figuren eines Malers und eines Bildhauers repräsentieren die Erkenntnis der Welt durch die Werke der Kunst. Orpheus und Eurydice vergegenwärtigen die Musik und die Verflechtung von Liebe und Tod. Am Ende des Bilderzyklus sieht man einen Nuklearforscher, der mit der Feuerkraft der Atome hantiert. Jedoch muss er sich wie der Steinzeitmensch vor deren Urgewalt schützen. Er kann sie verstehen, ohne sie im Wortsinne zu „begreifen“. So muss er seinen gebrechlichen Körper in Rüstungen verstecken. Die Gefährlichkeit seines Tuns taucht hinter dem Knaben auf, der über Newtons Gesetze nachdenkt. Dort leuchtet brandrot ein atomarer Supergau.

Die Farben in diesem Bilderzyklus entstehen durch farbige, durchscheinende Seidenpapierteile, die entsprechend der beabsichtigten Farbtönung übereinander collagiert wurden. Das ganze 631 cm x 332 cm große Ensemble wurde am Ende durch ein Kunstharz verfestigt und dadurch geschützt. Die Gesamtwirkung der komplexen Komposition ist einfach überwältigend.

Danksagung: Der Autor dankt Elisabeth und Bernd Krimmel für mannigfaltige Kommentare und die kritische Durchsicht des Manuskripts.

Literatur

[1] Krimmel, Bernd [Hrsg.] Katalog zur Ausstellung Symmetrie in Kunst,
Natur und Wissenschaft – Mathildenhöhe Darmstadt 1.Juni bis 24 August 1986
, Band 2 : Kunst, Darmstadt 1986
[2] Georg-August-Zinn-Schule Mainz-Gustavsburg, in Bauen + Wohnen = Construction
+ habitation = Building + home: internationale Zeitschrift
, 10(11) 1956, Seite 378-381