Karriere in der Kernphysik

Das Ira Rischowski-Programm fördert internationale Masterstudentinnen auf ihrem Weg in die Wissenschaft

11.04.2023 von

Mit dem Ira Rischowski-Programm der TU Darmstadt werden internationale Studentinnen auf ihrem Weg in die Wissenschaft gefördert. Neben ihrem Masterstudium der Physik sammeln sie am Institut für Kernphysik praktische Erfahrungen mit dem Teilchenbeschleuniger und den dort gewonnenen Daten.

The scholarship holders of the Ira Rischowski Programme: Ann Rochele Netto, Kiriaki Prifti und Valeriia Skibina

„An die Kälte muss ich mich noch gewöhnen“, schmunzelt Ann Rochele Netto, die erst vor kurzem aus dem südindischen Kerala nach Darmstadt gezogen ist. Darauf entgegnet Valeriia Skibina lachend: „In Moskau war es noch viel viel kälter, und es lag tonnenweise Schnee!“ In einem sind sich die beiden jungen Frauen jedoch einig: „Wir sind froh, hier zu sein.“ Beide haben im Herbst vergangenen Jahres ihren Stipendiumsplatz im Ira Rischowski-Programm angetreten, das 2021 am Institut für Kernphysik (IKP) der TU Darmstadt ins Leben gerufen wurde.

Ziel des Programms ist es, internationale Masterstudentinnen zu fördern, talentierte Nachwuchswissenschaftlerinnen zu gewinnen und langfristig den Anteil von Frauen in der Physik zu erhöhen. Dafür erhalten die Stipendiatinnen während des zweijährigen Masterstudiums 600 Euro im Monat und eine Stelle als Hilfskraft am IKP. Hier durchlaufen sie unterschiedliche Stationen rund um die wissenschaftlichen Tätigkeiten in der Kern- und Beschleunigerphysik.

Praktische Erfahrungen am Teilchenbeschleuniger

Die 21-jährige Skibina widmet sich etwa zurzeit dem Forschungsdatenmanagement und lernt alles über Organisation, Sicherung und Dokumentation der am Teilchenbeschleuniger S-DALINAC und in internationalen Projekten generierten Daten. Später dürfen die Stipendiatinnen auch praktische Erfahrungen am Beschleuniger sammeln.

So wird Kiriaki Prifti, die bereits seit einem Jahr als Stipendiatin dabei ist, gerade zur Strahlenschutzbeauftragten ausgebildet. „So einen tiefen Einblick in die Kernphysik zu bekommen ist wirklich toll“, sagt die 23-jährige Albanerin. Dabei war ihr Start in Darmstadt während der Pandemie nicht gerade einfach: Nach einer zweiwöchigen Quarantäne konnte sie zwar draußen auf Entdeckungstouren gehen, die Seminare und Vorlesungen fanden jedoch alle noch online statt. So war es schwer, Kommilitoninnen und Kommilitonen kennenzulernen.

„Viel mehr als nur ein Studium“

Mittlerweile hat Prifti sich gut eingelebt und sitzt an ihrer Masterarbeit. Für die Datenanalyse lernt sie gerade Programmieren und weiß die Unterstützung ihrer Arbeitsgruppe sehr zu schätzen: „Jedes Mal, wenn ich eine Frage habe, sind sie sofort zur Stelle, um mir zu helfen.“ Nun unterstützt Prifti ihre neuen Kolleginnen selbst tatkräftig. Netto erzählt: „Sie hat mir schon vor meiner Ankunft so viele Fragen per E-Mail beantwortet, das war wirklich hilfreich.“

Für die 28-jährige Inderin ist es das erste Mal überhaupt im Ausland und „viel mehr als nur ein Studium“. Sie hat bereits einen Master in Physik in ihrem Heimatland absolviert und war lange auf der Suche nach einer Promotionsstelle. Leider fand ihre Abschlussarbeit international wenig Anerkennung. „Das Ira Rischowski-Stipendium ist der Türöffner, den ich gebraucht habe“, erzählt Netto erleichtert „Damit komme ich meinem Traum, als Wissenschaftlerin zu arbeiten, ein gutes Stück näher.“

Das Programm

Das Ira Rischowski-Programm unterstützt ausländische Studentinnen in der Kernphysik, nuklearen Astrophysik, Beschleunigerphysik und nuklearen Photonik. Das Programm soll die Stipendiatinnen auf eine erfolgreiche Karriere als Wissenschaftlerinnen vorbereiten. Es richtet sich an ausländische Studentinnen, die einen Bachelor-Abschluss erworben haben oder kurz davor stehen, die überdurchschnittliche Leistungen in ihrem Studium gezeigt haben, und die das Ziel haben, eine wissenschaftliche Karriere in einem dieser Felder einzuschlagen. Das Programm bietet ein Stipendium für 24 Monate für entsprechende Master-Studiengänge am Fachbereich Physik der TU Darmstadt an, um sich für ein zukünftige Karriere in einem Exzellenz-Programm vorzubereiten.

Eine neue Runde von Ira Rischowski-Stipendien beginnt jährlich im Oktober mit dem Start des akademischen Jahres. Der Auswahlprozess dauert etwa vier Monate. Das Ergebnis wird im Sommer verkündet, um genug Zeit für ein Visumantragsverfahren zu lassen. Bewerbungen können jederzeit eingereicht werden, am besten jedoch bis Februar jedes Jahres zur Berücksichtigung bis zum Beginn des Stipendiums im Oktober desselben Jahres.

Hintergrund des Programms ist eine Entscheidung der TU Darmstadt, die Situation von Frauen in den genannten Forschungsgebieten weiter zu verbessern. Der Anteil von Wissenschaftlerinnen in den Gebieten der Kern- und Beschleunigerphysik in Deutschland ist seit dem Beginn des Jahrhunderts zwar von etwa zwölf Prozent auf heutzutage circa 20 Prozent gestiegen. Immer noch ist die Beteiligung von Wissenschaftlerinnen in diesen Gebieten aber unbefriedigend niedrig. Die Ursachen reichen von einer geringen Anzahl weiblicher Vorbilder, die diese Felder für den wissenschaftlichen Nachwuchs attraktiv machen, bis zu einer unterdurchschnittlichen Anzahl von Bewerbungen von Wissenschaftlerinnen auf Promotionsstellen in den Exzellenzprogrammen in diesen Gebieten.

Weitere Informationen zur Bewerbung:

Die Namensgeberin

Ira Rischowski (1899-1989) (wird in neuem Tab geöffnet) begann im Jahr 1919 als erste Frau ihr Studium der Ingenieurwissenschaften an der TU Darmstadt. In Deutschland war sie eine der ersten Frauen auf diesem Gebiet und trat später dem Verein Deutscher Ingenieure bei. Dieser zählte im Jahr 1933 bereits mehr als 600 weibliche Mitglieder, doch aufgrund der Einflussnahme der Nationalsozialisten verweigerte Rischowski ihre Beteiligung an der Neugründung einer Frauengruppe.

Sie ging als Geheimagentin in den Widerstand und kodierte für die Organisation „Neu Beginnen“ den Schriftverkehr mit Verbündeten im Ausland. Aufgrund ihrer jüdischen Abstammung musste sie 1936 nach England fliehen. Als deutsche Staatsbürgerin durfte sie während des zweiten Weltkriegs ihren Beruf zunächst nicht ausüben. Später wurde sie Mitglied in der „Women's Engineering Society“ und engagierte sich bis an ihr Lebensende für Frauen in den Ingenieurwissenschaften.